Oktober / November 2013 – Die Reha

Die Zeit zwischen der Bewilligung der Reha und dem Beginn reichte gerade aus, um mir noch 2 Sporthosen mit Shirts und ein paar Sportschuhe zu kaufen.

Nachdem ich jahrelang auf dem Sofa vor mich hingesiecht bin, hatte ich keinerlei Sportbekleidung, in die ich meinen dicken Hintern hätte zwängen können. Ein Hoch auf den Versandhandel für Übergewichtige, wo man auch in Größe 52/54 diskret und ohne peinliche Anproben die Waren bequem bis an die Haustüre geliefert bekommt.

Shoppingtouren hatte ich mir zu dem Zeitpunkt schon lange nicht mehr angetan. In der Regel gab es nichts Passendes oder die Sachen waren so hässlich, dass ich mich fragte, ob ich überhaupt so alt werde, wie die Plus-Size Mode mich manchmal machte.

Egal, ich hatte für die Reha eine Liste bekommen was ich mitbringen sollte und da gab es noch Lücken, die mit Hilfe von Otto schnell geschlossen wurden.

Die Nacht vor der Abreise war kurz und ich war froh, als es Morgen war und ich endlich aufstehen konnte. Ich war supernervös und gespannt, was mich erwartet. Es war so eine Mischung aus der Angst vor einem bevorstehenden unangenehmen Krankenhausaufenthalt und der Freude auf eine Klassenfahrt, die sich in mir breit machten. Netterweise hat sich mein lieber Mann bereit erklärt, mich per Auto in der Klinik, die etwa 100km von unserem Wohnort entfernt liegt, abzuliefern. So blieb mir zumindest die anstrengende Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln erspart.

Kurpark und Gradierwerk in Bad Orb

Kurpark und Gradierwerk in Bad Orb

Als Reha-Frischling hatte ich erst einmal so meine Probleme mich zu orientieren. Ich fühlte mich in der recht großen Klinikanlage verloren und irrte oftmals umher. Jetzt bin ich leider auch mit einem bescheidenen Orientierungssinn ausgestattet, was mich in den vielen Gebäuden und den ganzen Gängen vor die eine oder andere Herausforderung gestellt hat. Der erste Tag war dann auch erst einmal geprägt von einer Eingangsuntersuchung, einem psychologischen Gespräch und natürlich dem Essen. Erschöpft fiel ich abends ins Bett und drückte 2 Tränchen ins Kissen, weil ich da schon Heimweh hatte.

Der Abschiedsschmerz sollte nicht lange andauern, denn die Rehaklinik versteht es durchaus ihre Kunden auf Trab zu halten und zu beschäftigen. Mein zu absolvierendes Programm war umfangreich. Psychologische Therapiestunden, Stressbewältigung, Ernährungsberatung, Sport, Sport, Sport.

Mein Programm begann oft schon um 7 Uhr in der Früh und ging bis in den späten Nachmittag. Selbst Samstagvormittag war noch Programm. Also irgendwie war ich von den vielen Tagesaktivitäten teilweise erschlagen und es kam keine Langeweile auf. Wie man bei dem Pensum noch Energie haben kann um sich die Nächte um die Ohren zu schlagen oder gar mit einem Kurschatten zu flirten, ist mir wirklich schleierhaft. Mir hat das Programm laut Wochenplan auf jeden Fall vollkommen ausgereicht.

Bei einer Sportstunde in der Übungshalle bin ich dann leider ungeschickt über einen Ball gestolpert und blöd auf mein Knie gefallen. Das war natürlich wieder typisch für mich, weil ich mich ja sowieso in einem körperlich unbeweglichen Zustand befand und dazu auch noch echt schusselig bin.

Mein Mann kann ein Lied davon singen, wo ich mich schon überall unfreiwillig hingelegt habe und er mich wieder aus dem Schmutz empor ziehen musste.

Problem war, das Knie tat wirklich weh und so musste ich in die Krankenstation um mich dort der Dienst habenden Ärztin vorzustellen. Die Ärztin gab mir eine Salbe und fragte, ob ich denn schon meine Ergebnisse von der Blutuntersuchung hätte. Als ich dies verneinte, rief sie meine Werte kurz auf den Bildschirm und anhand der vielen roten Abschnitte und dem ernsten Blick der Ärztin realisierte ich sofort, dass da irgendetwas nicht so war, wie es hätte sein sollen.

Ob ich wüsste, dass ich Diabetes habe fragte mich die Ärztin. Mir stockte der Atem und es wurde mir unmittelbar speiübel. Diabetes? Ich? „Ähm, Nein“ stotterte ich vollkommen geschockt. Doch, doch flötete die Ärztin, der Nüchternblutzucker war bei 242, das ist eigentlich eindeutig. Wir machen dann mal morgen früh einen Zuckerbelastungstest und werden schauen, ob wir es wirklich mit Diabetes zu tun haben.

Ufff, dann war ich raus aus dem Behandlungszimmer und hatte für den darauf folgenden Tag den Termin für einen Zuckerbelastungstest in der Tasche.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch gehofft, dass mein erhöhter Zuckerwert eine einmalige Entgleisung sein musste, der der Aufregung des ersten Reha-Tages geschuldet war. Optimistisch dachte ich, dass sich der Schatten der chronischen Erkrankung, mit der ich bisher keinerlei Berührungspunkte hatte, schon wieder verziehen würde und sicherlich nur ein Missverständnis vorliegt. Es kann ja nicht sein, dass ich ab sofort Diabetikerin bin und dachte an Blutzuckermessungen und regelmäßige Insulinspritzen. Nein, damit wollte ich nichts zu tun haben. Diabetes haben alte Leute, ich bin doch erst 44 Jahre alt.

Der Zuckerbelastungstest war dann eindeutig. Nachdem ich nüchtern Glukose getrunken habe, stieg der Blutzucker bis auf heftige 339 und man teilte mir mit, dass ich an manifestem Diabetes Typ 2 leide.

Ich war bedient, geschockt und wütend auf mich selbst, weil ich es habe so weit kommen lassen. Nachdem ich hart an der Grenze zum Nervenzusammenbruch war, hat sich eine Psychologin sehr lieb um mich gekümmert. Die motivierenden und fürsorglichen Worte drangen an jenem Nachmittag aber nur wie durch einen dicken Vorhang zu mir durch. Ich war verzweifelt und fühlte mich komplett überfordert mit der Situation.

Gradierwerk in Bad Orb

Gradierwerk

Am nächsten Tag stand als erstes eine Gruppentherapiestunde an. Dort berichtete ich traurig, dass es mir nicht so gut geht, weil leider Diabetes diagnostiziert wurde. Unaufgefordert kam von der Gegenseite des Tischs die nett gemeinte Bemerkung eines Mitpatienten, dass er auch Diabetiker sei und auch Angst hatte, blind zu werden oder die Füße amputiert zu bekommen. Das ist doch genau das, was man so als neu Diabetikerin hören möchte und mir schossen direkt die Tränen in die Augen. Nach der Therapiestunde habe ich mich dann den Rest des Tages heulend in meinem Zimmer verkrochen.

Es half alles nichts, ich konnte mich nicht tagelang verkriechen und nachdem ich das Wochenende irgendwie überstanden hatte, fügte ich mich wieder in den Klinikalltag ein. Mit dem Unterschied, dass jetzt auch noch Chefarzttermine anstanden um meine Diabetes Erkrankung mit Medikamenten in den Griff zu bekommen.

Der Chefarzt hat mir dann auch mitgeteilt, dass mein Langzeitwert bei 9,2 liegen würde und dieser Wert sehr schlecht sei. Ich wohl schon länger hohen Blutzucker hatte und mich vielleicht in den letzten Monaten sehr schwach und energielos gefühlt habe. Daneben teilte er mir mit, dass meine Blutwerte fast alle ziemlich aus der Bahn geraten waren und ich daran denken soll, dass Diabetes zwar wohl mit Medikamenten sehr gut behandelbar ist, aber eine gesündere Lebensweise von Vorteil ist.

Dass ich daneben noch eine Blasenentzündung hatte, war mir wohl irgendwie entgangen. Aber ich hatte mich und meinen Körper ja schön länger nicht mehr gespürt und war von jedem Körperbewusstsein entfremdet. Also gab es, weil es so schön war, noch über mehrere Tage Antibiotika und literweise Blasentee. Schön, wenn man in so einer Klinik mit Teekanne unterwegs ist und dann laufend pinkeln muss.

Direkt in der Klinik lernte ich dann auch erst einmal in einer einwöchigen Diabetes-Schulung alles, was ich über die Krankheit wissen musste und mein Kopf begann zu rattern.

Für mich stand schnell fest, dass ich der Diabetes Erkrankung so richtig in den Arsch treten wollte, um der drohenden Insulininjektion erst einmal auf unbestimmte Zeit zu entkommen.

Dafür wurde es notwendig, dass ich zügig Gewicht verliere und regelmäßig Sport mache, denn nur so kann das noch vorhandene Insulin meines Körpers wieder seinen Job tun und den Zucker im Blut in die Zellen zur Verbrennung schaufeln.

Doch der Weg dahin geht nicht von heute auf morgen und so begann ich gleichzeitig mit der Einnahme des Medikaments Metformin, was erst in kleineren Dosen verabreicht wurde, bis hin zu einer ganzen Tablette 850mg am Abend. 3x täglich und mehrfach nachts wurde mein Blutzucker gemessen. Im Laufe der inzwischen auf 6 Wochen verlängerten Reha verbesserten sich meine Wertebereits deutlich.

Ein Teil des Behandlungserfolges lag sicherlich in der Reduzierung meines Körpergewichts während der Reha. In den 6 Wochen habe ich insgesamt 11kg an Gewicht verloren, was ein toller Erfolg war und einen guten Anfang darstellte. Aber eben nur ein Anfang.

Das Diät-Konzept der Rehaklinik beruht auf dem Einsparen von Fett. Genauer gesagt, darf man pro Tag 30 Fettpunkte essen, was 30 Gramm Fett entspricht. Ansonsten darf man fettarme Lebensmittel wie Nudel, Reis, Kartoffel und auch Backwaren innerhalb dieser Grenzen recht großzügig verzehren. Die Klinik ist mit diesem Konzept schon seit Jahren sehr erfolgreich und erzielt viele sehr gute Ergebnisse. Auch meine 11kg waren ja ein prima Erfolg, aber es machte sich in mir das Gefühl breit, dass Fettpunkte zählen für mich nicht das Modell sein würde, mit dem ich im Anschluss an die Reha weitermachen wollte.

Es kam mir einfach falsch vor, wenn ich als Diabetikerin Probleme habe Kohlenhydrate zu verarbeiten, ich ausgerechnet diese in großem Umfang verzehren sollte. Bei meinen Recherchen über das Internet bin ich so auf ein Buch gestoßen, welches mein Mann mir bei seinem nächsten Besuch mitbrachte.

Das Buch „Stopp Diabetes – Raus aus der Insulinfalle mit der Logi-Methode“ hat mir die Augen geöffnet und mir meinen Weg aufgezeigt, den ich im Anschluss an die Reha gehen wollte. Nicht eins zu eins, aber die Richtung war klar. Mein Ernährungsprinzip für die Zukunft würde eine moderate Low Carb Variante werden mit dem Ziel, den Blutzucker stabil zu halten und gleichzeitig weiter Gewicht zu verlieren.

So endete die Reha Ende November 2013 mit vielen Fortschritten, aber auch mit der Erkenntnis, dass noch viel zu tun ist.

Meinen Lebensstil musste ich nachhaltig ändern, mein altes Essverhalten konnte ich nicht beibehalten, meine berufliche Situation musste ich dringend überdenken und mit Stress sollte ich lernen besser umzugehen.

Ein Anfang war gemacht, ich bin mit Hilfe der Reha von der Straße des Verderbens abgebogen und habe den hoffentlich richtigen Weg eingeschlagen, aber gehen musste ich ihn selbst und es wurde verdammt Zeit, endlich Verantwortung für mich und mein Leben zu übernehmen.

Dass ich am Punkt X stand, war meine eigene Schuld und ich war auch die einzige Person, die mich am Schopf packen und aus der Kacke rausziehen konnte.

Also griff ich zu und zog …

 

Weiter zu „Dezember 2013 – Christmas Shopping New York und Weihnachten

Übersicht:

  1. Über mich – Happy Carb – Mein Low Carb Weg zum Glück
  2. Rückblick, oder wie ich dick wurde …
  3. Frühjahr / Sommer 2013 – Die Weichen werden gestellt
  4. Oktober / November 2013 – Die Reha
  5. Dezember 2013 – Christmas Shopping New York und Weihnachten
  6. Januar bis Juli 2014 – Zeit der Veränderung
  7. Diabetes Typ 2 – Mein Weg ohne Medikamente
  8. Was danach geschah

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