Wann das mit meinem Gewicht aus dem Ruder gelaufen ist, kann ich heute überhaupt nicht mehr genau sagen. Fest steht, ich war ein dünnes Kind. Man kann auch sagen, dass ich beängstigend dürr war und deshalb das Augenmerk meiner Eltern immer darauf ausgerichtet war, dass ich brav esse. Meine Eltern waren wohl fälschlicherweise davon ausgegangen, dass wenn sie die kleine Betti nicht zum Essen und Trinken antreiben, ich höchstwahrscheinlich kurzfristig verhungert wäre.
Ich bin nicht verhungert, aber hängen geblieben ist im Unterbewusstsein doch, die ständige Aufforderung zu essen.
Ich erinnere mich an eine sorglose und schöne Kindheit in den 70er Jahren, wo ich mit dem Rad in der Gegend umhergefahren bin, wie ein Junge auf Bäume kletterte und eigentlich immer im Laufschritt unterwegs war.
Dieser Bewegungsdrang wurde jäh gebremst, als ich mit zarten 16 Jahren ins Berufsleben eingetreten bin und eine kaufmännische Ausbildung begonnen habe. Nicht mein eigentlicher Wunsch, aber damals war das eben so, dass Mädchen ins Büro gehen und dagegen aufzubegehren, war außerhalb meiner damaligen Möglichkeiten. Konnte ich doch froh sein überhaupt eine Lehrstelle gefunden zu haben. Die Konkurrenzsituation bei den Ausbildungsstellen war in den Zeiten, als die geburtenstarken Jahrgänge auf den Ausbildungsmarkt drängten, sehr eng und der eine oder andere Traum blieb auf der Strecke.
Ab diesem Termin habe ich begonnen an Gewicht zuzulegen. Langsam und stetig ging es über die Jahre aufwärts. Immer wieder mal unterbrochen von irgendwelchen schrägen Diäten, die am Ende nur das Ergebnis hatten, dass ich hinterher schwerer war als vorher.
Ich habe tagelang Kohlsuppe gefuttert, habe mich von Milch und trockenen Brötchen ernährt, habe wochenweise gefastet, habe von Salat und Putenbrust gelebt, habe hartgekochte Eier gegessen bis sie mir aus den Ohren gekommen sind und habe verschiedene dubiose Mittelchen getestet, auf die ich lieber nicht eingehen will.
Die Belohnung mit Seiteneffekten
Also im Prinzip eine total durchschnittliche Dickengeschichte mit dem Ergebnis, dass das Gewicht auf der Waage eigentlich nur eine Richtung kannte und zwar die nach oben. Das Essen hat mir geholfen, wenn ich traurig war, wenn ich gestresst war, wenn mir langweilig war und wenn es mir gut ging, habe ich mich auch mit Essen belohnt.
Gegessen habe ich gerne, immer gut und am liebsten viel, zu viel. Auch das Kochen hat mir seit jeher viel Freude gemacht und ich habe eine Menge Zeit für die leckere Zubereitung meiner kalorienreichen Schlemmereien investiert. Vorzugsweise jedoch kalorienreiche fette Kost in Kombination mit nährstoffarmen Kohlehydraten.
Ähnlich wie Garfield liebte ich Lasagne, hätte 2x am Tag Pizza essen können und für Tortellini mit Schinken-Sahnesoße hätte ich einen Mord begehen können.
Auf dem Heimweg von der Arbeit noch schnell einen Dönerteller mit Pommes und das, obwohl ich zum Mittagessen schon Spätzle mit Sahnegeschnetzeltem hatte? Für mich damals eine perfekte Menüfolge.
Abends liebte ich es dann noch zusätzlich Süßigkeiten in großen Mengen zu essen und z. Bsp. eine 250gr. Tafel Schokolade auf einen Schlag zu futtern. Dieses abendliche große Fressen hat mir trotz der bereits am Tag verzehrten Massen kein echtes Problem bereitet. Ich litt höchstens mal an etwas Übelkeit oder Sodbrennen wegen des vielen Essens. In erster Linie verspürte ich ein beruhigendes und entspannendes Gefühl, wenn der Bauch schön wohlig vollgefressen war.
Ich war eine Künstlerin im Verschleiern meines Essverhaltens und wurde immer kreativer, wenn es darum ging Essen im Wohnbereich zu verstecken oder auch leere Nahrungsmittelverpackungen zu entsorgen. Süßigkeiten im Nachtschränkchen oder Müll, den ich diskret in öffentlichen Abfalleimern entsorgt habe gehörten zur Tagesordnung. Fressorgien im Auto auf dunklen Parkplätzen, Müll den ich im Kofferraum gebunkert habe um ihn in fremden Mülltonnen oder am Arbeitsplatz verschwinden zu lassen, ich war da sehr erfinderisch und habe die komplette Klaviatur einer Essgestörten rauf und runter gespielt.
Klamotten kaufen war inzwischen die Hölle und Sozialkontakte schränkte ich aus Scham immer weiter ein. Ich wurde von Fremden beschimpft, fühlte mich diskriminiert und merkte immer mehr, wie das extreme Gewicht mir jede Lebensenergie nahm. Schlepp mal 50kg an den Körper geschnallt mit dir herum und du verstehst schnell was ich meine.
Der Körper macht nicht mit
Meine gesundheitlichen Probleme nahmen dann auch jenseits der 40 Lenze gravierend zu. Ich wurde immer unbeweglicher, hatte Gelenkschmerzen, Bluthochdruck und bekam es mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten (Histamin, Laktose, Fruktose) zu tun. Wegen der Unverträglichkeiten hatte ich mit ständigen Kreislauf- und Magen-Darm Problemen zu kämpfen und meine früher nur sporadischen Migräne-Anfälle kamen immer häufiger. Mein Körper wehrte sich ganz deutlich gegen das zu viel an Nahrung, gegen meine selbst durchgeführte Mast, als wäre ich eine Weihnachtsgans kurz vor der Schlachtung.
Alle Notsignale meines Körpers habe ich geflissentlich ignoriert um mich mit viel Energie darum zu bemühen, den Schein nach außen zu wahren und zu suggerieren, dass alles genau so ist wie es sein soll.
Alles Bullshit, Lüge und eine große schauspielerische Leistung, die ich da über Jahre erbracht habe. Eigentlich gehört mir dafür ein Oscar für die beste Hauptrolle, oder vielleicht besser doch nur die Goldene Himbeere, weil die Story so erbärmlich und scheiße war.
Ich selbst habe mich in keinem Moment im Spiegel so dick gesehen wie ich wirklich war. Klar, dass mir da kein Spargeltarzan entgegen schaut ist mir auch aufgefallen, aber dass ich so richtig fett geworden war, habe ich nicht gesehen, wollte ich krampfhaft nicht sehen. Ein Hoch auf die Abwehrmechanismen und die Verdrängungsfähigkeit der Psyche.
Meine komplette Konzentration galt dem Essen und ein nicht unerheblicher Teil meiner Gedanken am Tag drehten sich darum, wann ich endlich etwas essen konnte und wie ich das große Fressen unauffällig organisiere, damit niemand etwas von meinem kranken Verhalten bemerkt.
Mein persönliches Umfeld hat durchaus wahrgenommen, dass da etwas nicht so läuft wie es sollte, war aber viel zu nett um mir wirklich die rote Karte zu zeigen. Mein Mann liebte mich in jeder Körperform, wofür ich ihm auch heute noch unendlich dankbar bin. Gerade in den ganz „schweren“ Zeiten war er mit seiner bedingungslosen Liebe ein Anker und Halt.
Aber es ist vielleicht, so wie bei jeder anderen Sucht, um wirklich die Energie aufbringen zu können nachhaltig etwas zu ändern, muss man ganz unten sein und im Dreck liegen.
So drehte sich die Gewichtsspirale immer schneller und der Frust über eine unbefriedigende Arbeitssituation führte dazu, dass ich auch noch diesen Kummer versucht habe wegzufressen.
In der Folge kam es dazu, dass ich am Ende im Frühling 2013 bei einem Körpergewicht von unglaublichen 132 kg gelandet war und mich körperlich und seelisch komplett am Ende fühlte.
Ich war ganz unten angekommen und es musste etwas passieren.
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Übersicht:
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- Diabetes Typ 2 – Mein Weg ohne Medikamente
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