Die Keto-Revolution! Ketogene Ernährung für alle?

Die Keto-Revolution! Ketogene Ernährung für alle?

Juchhuuu, meine Keto-Phase ist vorbei…

Ich muss ehrlich gestehen, aber ich bin echt froh, ab sofort wieder meiner doch etwas gemäßigteren Low-Carb-Variante zu frönen. So ein paar mehr Kohlenhydrate auf dem Teller zu haben, ist zumindest für mich ein echtes Plus.

Ich hatte in meinem Beitrag über das Intermittierende Fasten vor einigen Wochen angekündigt, dass ich für 4 Wochen diese extreme Form von Low Carb durchziehen will. Eine moderne Form der Geißelung könntest du jetzt denken, aber keine Angst, ich mache die kleine Ochsentour 2x im Jahr und es ist eigentlich nichts Schlimmes dabei.

Wobei, wenn ich das Wörtchen »eigentlich« verwende…

Also Klartext, was die letzten Wochen hier Programm war: Ich habe meine Kohlenhydrate stark reduziert und das Fett im Gegenzug kräftig erhöht. Ich habe echten Respekt vor Menschen, die sich dauerhaft streng ketogen ernähren, weil es eine Krankheit erfordert oder andere Gründe vorliegen.

Da ziehe ich einen virtuellen Hut…

Mir sind die 4 Wochen immer schon recht lang, aber ich weiß natürlich, dass ich die Zeitdauer brauche um den Umstellungserfolg zu erzielen, der mir dann wieder eine ganze Weile weiterhilft. Bis, ja bis im kommenden Herbst die nächste Keto-Kur auf mich wartet.

Kur klingt doch total altbacken und retro. Findest du nicht? So nach Bad Kissingen und Tanztee in den 90er Jahren. Ich stehe da aber drauf, denn noch mehr Challenges braucht die Welt nun wirklich nicht. Es ist auch schon eine ganze Weile her, dass ich über eins meiner früheren Keto-Experimente berichtet habe. Es wurde also Zeit, dass ich dem in meinen Augen sinnvollen Unterfangen wieder einmal richtig Aufmerksamkeit auf meinem Blog gebe.

Dazu ist es im Moment ja so, dass wirklich gefühlt eine Keto-Revolution tobt. Massen an Keto-Internetseiten schießen überall aus dem Boden und man könnte manchmal den Eindruck gewinnen, Keto sei eine Art neue Religion mit Messer und Gabel.

Keine Angst, ich mache hier heute weder den Jesus noch den Judas. Ich war schon immer Agnostikerin und das zieht sich bis ins heutige Thema „Göttliche Ketose“.

Ich sage es gleich vorweg. Ich bin keine Verfechterin der Dauer-Ketose und halte die ketogene Ernährung für den gesunden Menschen, also ohne medizinische Indikation, nicht für die optimale dauerhafte Ernährungsweise. Spätestens wenn man auf den Teller schaut, weiß man auch warum. Ich lasse mir ungern das Gemüse abzählen und bin auch sonst keine Freundin vom Überwachen der Makronährstoffe, was aber bei der ketogenen Ernährung sein muss. Selbst ich Low-Carb-Profi staune in der 4-wöchigen Phase immer wieder, wie schnell doch einige Kohlenhydrate mehr auf dem Teller landen. Da verschätze ich mich immer wieder gehörig und schlackere mit den Ohren. Entwickle ich Happy-Carb-Rezepte, dann berechne ich die Zusammensetzung der Nährstoffe nach dem Essen. Während der ketogenen Phase, berechne ich die Zusammensetzung schon bei der Rezeptentwicklung, damit ich am Ende keine böse Überraschung erlebe.

Ehrlich gesagt, nervt mich diese totale Kontrolle ungemein…

Aber unter bestimmten Bedingungen macht eine ketogene Ernährung Sinn und als kurmäßige Maßnahme, bin ich ein Riesenfan. Nein, nicht um direkt einige Kilos zu verlieren, auch wenn das diesmal durch die Kombination mit dem Intermittierenden Fasten problemlos der Fall war, sondern um den Stoffwechsel für die Fettverbrennung zu adaptieren, also anzupassen. Meine Keto-Kur ist für mich ein Stoffwechseltraining, um auch weiterhin im Rahmen meiner moderaten Low-Carb-Ernährung mehr Fett zu verbrennen, selbst wenn ich dann schon nicht mehr mit dem Ziel Dauerketose esse.

So ein paar Informationen will ich aber doch noch geben, worüber ich hier fabuliere. Die ketogene Ernährung ist die verschärfteste Form der Low-Carb-Ernährungsweisen. Sie wurde ursprünglich für die Behandlung von Epilepsie und Stoffwechselerkrankungen entwickelt.

Kennzeichnend für die ketogene Ernährung ist eine sehr kohlenhydratarme und gleichzeitig sehr fettreiche Ernährung mit dem Ziel, vom üblichen Glukosestoffwechsel in den überwiegenden Fettstoffwechsel zu wechseln. Für mich bedeutet das in der 4-wöchigen Kur konkret, dass ich mein tägliches Limit an Kohlenhydraten bei nur 20 g setze. Klar, da fallen dann Obst, größere Mengen an buntem Gemüse und auch viele Milchprodukte einfach raus. Die Auswahl und auch die jeweiligen Mengen von Lebensmitteln mit Kohlenhydraten müssen im Auge behalten werden. Diese Einschränkung an Kohlenhydraten führt dazu, dass nach einer Umstellungsphase von bis zu einer Woche, mein Gehirn nicht mehr überwiegend mit Glukose gefüttert wird, sondern sogenannte Ketone, die aus Fett gebastelt werden, als Energiequelle genutzt werden.

Wusstest du, dass unser Gehirn die Energie zu 80% aus dem Fettstoffwechsel speisen kann?

Wenn dem so einfach wäre. Wie immer in der Umstellungsphase, war ich in der ersten Keto-Woche etwas angefressen, denn auch wenn ich das ganze Jahr Low Carb esse, merke ich in den ersten Tagen, dass mein Stoffwechsel sich umstellen muss. Nicht mehr so hart, wie es bei meinem ersten Keto-Experiment der Fall war, aber es ist besser, wenn man mir in der Woche nicht in die Quere kommt. Besonders die Konzentrationsfähigkeit ist eingeschränkt und an Tag 2 hatte ich einen dicken Kopf, als hätte ich einen Tag zuvor gesoffen wie ein Loch.

Hatte ich zu High-Carb-Zeiten nach einem Kohlenhydratrausch immer eine Art Brainfog im Kopf. Also ich fühlte mich, als hätte ich einen Helm auf, obwohl dem nicht so war. So ähnlich wuschig fühle ich mich beim Wechsel der Zapfsäule des Gehirns auch. Aber nur vorübergehend, denn nach dem Nebel der Matschigkeit kommt eine geistige Schärfe, die mich fast erschrecken lässt.

Komischerweise nehme nur ich diese geistige Schärfe wahr. So ein Mist aber auch.

Mein Göttergatte meinte tatsächlich zu mir, dass ich während der Keto-Phase doofer wäre als sonst.

Juchuuuu, sowas hört Frau, die sich gerade durch ein Keto-Projekt boxt, natürlich gerne. Können Männer nicht einfach mal die Klappe halten, wenn es wirklich Sinn macht. Sonst keine überflüssigen Worte machen und gerne schweigsam. Aber so eine unrelevante Information, wie doof ich gerade bin, wird da doch gerne rausgehauen.

Hmmmm, vielleicht ist man ja im Rausch der Fastenhormone, denn eine ketogene Ernährung simuliert einen Fastenstoffwechsel, nicht mehr Herr seiner Sinne und die eigene gefühlte Wachheit und Leistungsfähigkeit ist ein Trugschluss, man merkt es selbst nur nicht? Fragen über Fragen und ich bin mit meinem Latein am Ende. Ufff, wie gut, dass ich gleich noch eine Fachfrau zu Gast habe, die ich das alles genau fragen kann.

Warum der Bohei? Gute Frage, stelle ich mir auch immer wieder neu.

Wie ich bereits geschrieben habe, ist mein Ziel nicht, mich dauerhaft ketogen zu ernähren, sondern ich will im Rahmen meiner befristeten Kur meine »Ketogene Adaption« trainieren. Also der Zustand, in dem der Körper Fett und Ketone als Hauptenergiequelle nutzt und das entsprechend physiologisch umsetzt. Aller Voraussicht dauert dieser „Lernprozess“ mindestens 2-4 Wochen, weshalb meine Kur auch auf 4 Wochen angelegt ist und nicht nach Erreichen der Ketose, also nach schon einigen Tagen, abgeschlossen ist.

Ich will schließlich mehr, als nur mal kurz Ketose schnuppern:

  • Vermehrte Bildung von Mitochondrien in den Zellen
  • Anpassung der Organe und Muskeln an die Fettverbrennung
  • Längerfristige hormonelle und enzymatische Veränderungen

Da passiert richtig was im Körper, während er auf Fettverbrennung läuft, aber es braucht etwas Zeit, um diese Anpassungen längerfristig zu konservieren. Denn selbst wenn Ketose und die ketogene Adaption das ureigene menschliche Notprogramm ist, und damit eigentlich ganz natürlich, sind wir es nicht gewohnt, so zu funktionieren. Wie auch, Nahrungsknappheit ist nicht gerade kennzeichnend für unseren westlichen Lebensstil und wir kommen unter „normalen“ Bedingungen üblicherweise nicht in die Verlegenheit die Fettverbrennungsmaschine anzuwerfen.

Aber, wenn die Maschine dann mal rattert, profitierte ich mit meiner dauerhaft kohlenhydratreduzierten Ernährung auch langfristig. Denn die adaptive Wirkung auf den Stoffwechsel bleibt erhalten, auch wenn der eigentliche Stoffwechselzustand der Ketose nicht mehr besteht, also das Gehirn wieder an der anderen Zapfsäule hängt.

Die Vorteile der ketogenen Phase, die ich für mich persönlich ausgemacht habe sind:

  1. Weniger Hungergefühle im Anschluss an die Keto-Kur
  2. Höhere Leistungsfähigkeit und kein Leistungsabfall, auch bei längeren Nahrungspausen
  3. Guter tiefer Schlaf (nach der Keto-Phase, denn währenddessen schlafe ich ungesund wenig)
  4. Effektiverer Fettverlust, selbst bei einem nur geringen Kaloriendefizit

Es lohnt sich also für mich, die 4 Wochen  am Stück konsequent durchzubeißen, auch wenn ich mich persönlich mit der sehr kohlenhydratreduzierten Ernährung ungleich schwertue. In einigen Monaten dann, wenn ich merke, der Hunger krabbelt wieder öfter zwischendurch hoch oder der Energiepegel beim Ausdauersport geht schneller in den Keller, dann wird es wieder Zeit, den Stoffwechsel erneut an das zu erinnern, was er Tolles kann, nämlich bei Bedarf Fett als Energiequelle zu verwenden und nicht nach Glukose zu schreien.

Dazu haben wir schließlich unsere Fettreserven eingespeichert. Praktisch und raumsparend in der energiereichsten Variante, dem Fett. Jeder von uns hat seine Fettreserven, selbst wenn er nicht die Figur eines Michelin-Männchen hat. Und die Tankstelle Fett ist so ergiebig, da können die Glukosevorräte in unserem Körper nicht dagegen anstinken.

Ich sag doch immer. Fett für alle und die Welt liefe rund. OK, ich bin noch in Ketose während hier meine Finger über die Tastatur fliegen. Wären die Tasten mit Musik hinterlegt, könnte Lang Lang einpacken und irgendwo in einem Bistro in Hintertupfingen Gäste bespaßen.

Bevor ich mich hier um Kopf und Kragen schreibe, habe ich mir fachliche Unterstützung geholt. Wer könnte besser meine Fragen zum Thema beantworten, als die liebe Marina Lommel, auch als Foodpunk bekannt und für mich wirklich eine der Keto-Kapazitäten im deutschsprachigen Raum.

Du erinnerst dich vielleicht sogar daran, dass Marina schon hier zu Gast war.

Marina Lommel von Foodpunk - Interview zu ketogene Ernährung

Marina Lommel (© Mitya Kolomiyets)

Das Interview mit Marina

Betti: Liebe Marina, ich danke dir, dass du hier bist und mir Rede und Antwort stehst rund um die Ketogene Ernährung. Wie immer sind meine Fragen gefärbt von meinen persönlichen Eindrücken. Also bitte nicht wundern, dass wird hier jetzt keine wissenschaftliche Abhandlung, soll es auch nicht sein, denn dafür haben wir ja Marinas Foodpunk-Seite, die dort alles nochmal genauer und mit vielen biochemischen Grafiken erklärt.

Marina: Danke, dass ich da sein darf :-).

Betti: Für alle, die sich bisher noch nicht mit der Ketogenen Ernährung beschäftigt haben, braucht es erst mal Basiswissen. Daher liebe Marina, wie teilen sich die Makronährstoffe (Fett, Eiweiß, Kohlenhydrate) bei der Ketogenen Ernährung auf? Gibt es einen Unterschied, ob man so wie ich nur für 4 Wochen kurmäßig Keto macht oder ob man sich dauerhaft Keto ernährt? Wie erhöht sich die Toleranzgrenze für Kohlenhydrate im Keto-Dauerbetrieb und wie kann ich eigentlich sicherstellen, dass ich kein Ketose-Ping-Pong spiele?

Marina: Eine ketogene Ernährung ist auf jeden Fall eine intensive Form der Low Carb Ernährung. Die Definition der „ketogenen Ernährung“ findet man aber nicht in einer bestimmten Zusammensetzung von Makronährstoffen. Also – ich kann nicht sagen: „Ketogene Ernährung, das ist 80% Fett, 5% Kohlenhydrate“ oder „ketogene Ernährung, das ist unter 20 g Kohlenhydrate pro Tag“.

Der entscheidende Punkt an der ketogenen Ernährung ist, dass Ketose eintritt. Eine ketogene Ernährung wird dadurch definiert, dass sie dazu führt, dass Ketonkörper produziert werden und man dadurch in Ketose kommt. Die Makronährstoffe sind nur Mittel zum Zweck. Der eine kommt in Ketose bei unter 10% Kohlenhydraten, der andere bei unter 5 %. Der eine hält sich an eine Grenze von 20 g Kohlenhydraten pro Tag, der andere kommt auch mit 30 g Kohlenhydraten pro Tag gut in Ketose.

Ganz grob bewegen wir uns aber bei einer Kohlenhydratmenge von 10-30 g pro Tag (je nachdem welche Form der ketogenen Ernährung man durchführt) und 10-20% Protein. Die restliche Energiemenge wird in Form von Fett aufgenommen.

Egal ob ich mich nur für eine kurze Phase oder dauerhaft ketogen ernähre – die Zusammensetzung kann in beiden Fällen gleich sein. Langfristig „verträgt“ der Körper aber mehr Kohlenhydrate. Der Stoffwechselweg, der Ketonkörper produziert und der Stoffwechselweg, der sie wieder verbrennt werden immer weiter trainiert. So kann man als erfahrener Keto-Esser (nennt man das dann einen Ketolaner?) auch bis zu 50 g am Tag vertragen, ohne aus der Ketose zu fallen. »Aus der Ketose fallen« ist übrigens umgangssprachlich für „meine Ketonkörperkonzentration im Blut ist soweit abgesunken, dass sie sich nicht mehr von einem Durschnitts-Nicht-Keto-Menschen unterscheidet“.

Einen Unterschied gibt es zwischen einer »Freizeit«-Keto und einer medizinischen ketogenen Diät. Freizeit-Keto nenne ich das, was die meisten Leser vielleicht einmal ausprobiert haben – das, was du und ich machen. Wir ernähren uns ketogen aus Lifestyle-Gründen. Weil wir Fett verbrennen wollen, weil wir fitter werden wollen oder einen anderen Vorteil erlangen wollen.

Dem gegenüber steht eine medizinische ketogene Ernährung. Diese wird traditionell schon seit ca. 100 Jahren bei epilepsiekranken Kindern eingesetzt, bei denen kein Medikament richtig greift. Auch bei anderen Problemen des Gehirnstoffwechsels kommt sie zum Einsatz. Die medizinische ketogene Diät muss viel strenger durchgeführt werden und liefert oft auch mehr Einschränkungen. Manche Kinder dürfen beispielsweise nur extrem wenig Protein aufnehmen, um nicht aus der Ketose zu rutschen und einen epileptischen Anfall zu riskieren. Bei solch extremen Formen der ketogenen Ernährung, wie sie in der Medizin eingesetzt werden, gibt’s wie bei jeder potenten Medikation auch Nebenwirkungen.

Eine Freizeit-Keto sollten wir immer so gestalten, dass keine Nebenwirkungen auftreten. Sie sollte liberaler sein, ausreichend Eiweiß und Mikronährstoffe in Form von Gemüse liefern.

Betti: Lass und jetzt nochmal kurz intensiver über das Eiweiß sprechen. Die Angaben, die ich dazu finden konnte, sind teilweise sehr widersprüchlich. Von 0,5 g Eiweiß pro Kilo Normalgewicht bis hin zu 1,5 g pro Kilo Normalgewicht stand alles auf schlauen Keto-Seiten. Selbst esse ich in der Keto-Phase etwa 60 Eiweiß, was etwa 0,8 g Eiweiß entspricht. Was empfiehlst du und warum spielt die Eiweißzufuhr bei der ketogenen Ernährung überhaupt eine Rolle. By the way. Ist es wirklich so, dass der Körper nur 20 g Eiweiß auf einen Schlag verwerten kann? Habe ich auch gelesen und es haben sich Fragezeichen aufgetan. Eine Eiweißmahlzeit kann ja aus unterschiedlichen Eiweißquellen bestehen, mit unterschiedlicher Verwertungsgeschwindigkeit und dazu ist der Eiweißbedarf ja auch von der körperlichen Belastung, dem Anteil der Muskulatur und und abhängig. Solche fixen Angaben machen mich da immer wuschig, weil eigentlich nie zutreffend. Wir sind doch keine Maschine, und selbst da ist der Verbrauch an Treibstoff ja oft sehr variabel.

Marina: Ketonkörper entstehen aus Fettsäuren. Durch die sehr kohlenhydratarme Ernährung werden alle Schleusen geöffnet und Fettsäuren werden aus den Zellen freigesetzt. Die Leber bekommt jede Menge Fettsäuren ab, die sie verstoffwechseln muss. Einen Teil wandelt sie in Ketonkörper um. Die sind super wasserlöslich und können entspannt durch das Blut schwimmen – zum Gehirn oder zum Herzmuskel. Warum sind die Schleusen bei kohlenhydratarmer Ernährung aber so weit offen? Warum können so viele Fettsäuren aus den Zellen wandern und verstoffwechselt werden? Weil der Insulinspiegel niedrig ist.

Was erhöht den Insulinspiegel? Kohlenhydrate. Und auch Protein in gewissem Maße. Protein – also Eiweiß – ist demnach ein Gegenspieler der Ketonkörperproduktion. Wenn man Eiweiß konsumiert und der Insulinspiegel steigt, sinkt die Fettfreisetzung und die Produktion von Ketonkörpern wird gehemmt. Darum muss man bei ketogener Ernährung auf die Eiweißzufuhr achten. Besonders Low-Carb-Neulinge greifen beim Steak ja oft zu beherzt zu.

Ketogene Ernährung ist ähnlich einer LCHF-Ernährung, bei LCHF spricht man generell von 0,8-1,2 g Eiweiß, die man pro Tag zu sich nehmen sollte.

Bei ketogener Ernährung müsste man sich strenggenommen die ketogene Ratio ansehen (die sich bei LCHF im Skaldeman widerspiegelt).

Bei der ketogenen Ratio werden die Makronährstoffe, die eine Ketose behindern dem Makronährstoff gegenübergestellt, der eine Ketose fördert. Kohlenhdyrate und Proteine vs. Fett.

Die ketogene Ratio lautet: [Fett in g]:[Kohlenhydrate + Protein in g].

In der Medizin wird beispielsweise mit einer 4:1 ketogenen Ratio gearbeitet. Das heißt der Patient muss 4 x so viel Fett essen, wie Kohlenhydrate und Protein zusammen. Es gibt auch die Ratio 3:1 oder 2:1 – je nachdem, was man erreichen möchte.

Der Skaldeman ist im Prinzip dasselbe wie eine ketogene Ratio – nur anders geschrieben. Er sollte größer 1,2 sein. Ein Skaldeman von 1,2, das ist eine ketogene Ratio von 1,2:1.

Man kann von der ketogenen Ratio ableiten, wieviel Protein man in der Theorie zu sich nehmen dürfte. Für uns Freizeit-Ketarier (aah, so heißen wir :-)) soll’s aber möglichst einfach sein. Und die Theorie ist nicht immer die Praxis. Nur weil man sich in der Theorie nach einer ketogenen Ratio von 4:1 ernähren will, heißt das nicht, dass man in der Praxis nicht auch mit einer anderen Zusammensetzung in Ketose kommen würde. Aber um den Kreis zu schließen: 0,8-1,2 g pro kg Körpergewicht sind eine gute Faustregel. Meine Kunden bekommen meist um die 20% des Energiebedarfs in Form von hochwertigem Protein auf den Teller verordnet. Bei leichten, sehr sportlichen Menschen können das auch mal 2 g / kg Körpergewicht sein. Generell brauchen sesshafte Menschen weniger Protein als Crossfitter oder andere Kraftsportler. Auch, wer Probleme hat satt zu werden, sollte sich am oberen Rand bewegen. Wer dagegen nicht richtig in Ketose kommt, sollte die Proteinzufuhr eher unten ansiedeln.
Der Körper kann nur 20 g Protein pro Mahlzeit verwerten? Pustekuchen. Wenn meine Mahlzeit richtig zusammengesetzt ist, dann wird die so langsam verdaut und verarbeitet, dass das Protein ganz langsam ins Blut tröpfelt. Der Körper weiß gar nicht, was da jetzt zur letzten Mahlzeit gehört und was er da vielleicht noch von der vorletzten Mahlzeit verdaut. Wenn man aber insgesamt über dem Bedarf isst, wird ein Teil des Proteins in Glucose umgewandelt – Zucker.

Fixe Angaben, die angeblich pauschal für alle gelten, sind immer ein Zeichen dafür, dass da etwas nicht ganz stimmen kann. Ähnlich sehe ich Regeln wie „du darfst keine Lebensmittel mit mehr als 5 g Kohlenhydraten essen“, „ketogene Ernährung darf NIE mehr als 20 g Kohlenhydrate enthalten“. Der Körper ist keine Maschine.

Betti: Das klingt ja alles total spannend liebe Marina. Kannst du uns mal kurz umreißen, was da eigentlich im Körper passiert, wenn die Glukosevorräte leerlaufen und dann das Fett ran muss? Und warum hängt sich eigentlich das Hirn nicht direkt an meinen speckigen Hintern, sondern nimmt dem Umweg über die Leber und die Ketonkörper? Fehler der Natur? Hat der liebe Gott gepfuscht, oder ist doch alles gut geplant und so gewollt?

Marina: Einen Teil davon habe ich ja weiter oben bereits umrissen. Wenn man zuvor schon Low Carb gegessen hat, ist der Körper relativ gut trainiert und bekommt die Umstellung easy hin. Hat man vorher eher zu Pizza, Pasta, Eis-Fraktion gehört, ist die Umstellung fieser, aber auch umso nötiger.

Am Anfang geht im Körper das große Geschrei los. Wenn er über Jahre an zuckrige Nahrungsmittel gewohnt wurde, hat er eigentlich keine Lust, jetzt mal wieder richtig arbeiten zu müssen. In einem gesunden Körper herrscht ein Gleichgewicht zwischen „Reserven einlagern / Fett aufbauen“ und „Reserven angreifen / Fett abbauen“. Das passiert auf ganz natürliche Weise – weil man schläft, weil man zwischen den Mahlzeiten Pause macht oder weil einfach nicht immer etwas zu Essen da ist. Heutzutage ist natürlich immer etwas zu Essen in der Nähe und auch auf die Mahlzeit daheim wartet kaum einer mehr. Man kann ja mal schnell unterwegs… Dadurch wird eigentlich immer nur aufgefüllt. Reserven werden ständig eingelagert, aber es kommt nie der Moment, in dem wir sie wieder brauchen. Es kommt ja einfach Nachschub von oben. Fett wird immer aufgebaut, aber der Körper muss es nie abbauen. Er verlernt, wie es ist, Fett abzubauen. Biochemisch gesagt werden spezielle Enzyme, die dafür nötig sind, einfach in geringerer Menge hergestellt. Aber das lässt sich ändern. Ist alles eine Sache des Trainings.

Die ketogene Ernährung imitiert den Fastenstoffwechsel. Da bleibt dem Körper nichts anderes übrig, als seine Reserven anzuzapfen. Er muss. Egal, wie schwer es ihm fällt. Da müssen neue Enzyme gebaut werden, damit dieser längst vergessene Stoffwechselweg wieder zum Leben erwacht. Ist ein bisschen so, wie alte zugewachsene Eisenbahngleise wieder freizulegen. Der Körper würde sich die Arbeit gern sparen und einfach das Auto nehmen.

Darum schreit er anfangs noch nach Zucker, nach Kohlenhydraten. Man bekommt Kopfweh, es wird einem schwindlig und schlecht. Weil der Fettabbau noch nicht so richtig rund läuft. Klar hat der Körper die ein oder andere Kohlenhydratreserve – Leberglykogen, Muskelglykogen… Die Reserven an Glucose sind aber schnell verbraucht. Dann braucht es eine Alternative.

Damit man nicht vollends von der Stange fällt überbrückt der Körper diese Phase – bis die Gleise wieder komplett freigelegt sind und der Fettabbau rund läuft. Er baut Protein ab und bastelt daraus Glucose. Die Glucose versorgt das Gehirn, das ja gar nichts anderes kennt. Wenn man Glück hat, merkt man darum gar nicht so viel von der Umstellung. Ewig könnte der Körper aber kein Protein abbauen. Protein, das ist Eiweiß. Das sind unsere Muskeln. Die brauchen wir schließlich noch.

Darum schickt sich der Körper an, eine noch bessere Alternative herzustellen. Damit nicht auf Dauer so viel Protein abgebaut werden muss, bildet der Körper aus Fettsäuren Ketonkörper. Und endlich ist er da – der alternative Treibstoff für’s Gehirn. Neben Glucose sind Ketonkörper der einzige Brennstoff, den das Gehirn noch verarbeiten kann.

Ja, und warum wandert denn nicht direkt das Fett ins Gehirn? Das müsste der Körper ja nicht extra herstellen.

Das Problem ist – Fett ist nicht wasserlöslich und passt nicht durch die Blut-Hirn-Schranke. Keine Chance. Ketonkörper sind klein und wendig. Für sie hält die Blut-Hirn-Schranke sogar eigene Transport-Kanäle bereit. An anderer Stelle funktioniert es aber ohne diesen Umweg. Die Muskulatur beispielsweise kann direkt Fettsäuren zur Energiegewinnung heranziehen.

Betti: Was ist aus deiner Sicht das „Großartige“ an der ketogenen Ernährung, weshalb immer mehr Menschen, durchaus auch freiwillig, sich den doch nicht ganz unwesentlichen Einschränkungen unterwerfen.

Marina: Du stehst auf, bist fit. Bist fit und gehst ins Bett. Wenn man gut ketoadaptiert ist, dann gibt es keine Leistungskurven mehr. Kein Nachmittagstief. Keine Konzentrationsprobleme. Das Gehirn ist rund um die Uhr gut versorgt, denn der Treibstoff Ketonkörper ist ganz unabhängig davon, ob man kurz zuvor etwas gegessen hat. Denn die Fettreserven hat man immer dabei. Noch ein netter Nebeneffekt: Bei einer ketogenen Ernährung setzt Fett nicht so leicht an den Hüften an, man nimmt recht einfach ab (besonders Übergewichtige) und Ketonkörper machen satt. Tschüss Bärenhunger.

Betti: Was mir Unbehagen macht ist, dass ich immer wieder Mails bekommen von Personen, denen es nicht gut geht und die von mir die Lösung ihrer Probleme erwarten. Dabei begegnet mir immer wieder der Typ „Ich bin schon supersuperschlank, mache aber möglichst streng Keto und das schon gaaanz lange. Aber eigentlich bin ich immer müde und kaputt, nehme nicht mehr ab und fühle mich fast depressiv.“ Da gehen bei mir die Signallampen an. Manchmal habe ich einfach den Eindruck, dass die ketogene Ernährung auf Menschen mit der Neigung zu einer Essstörung, einen besonderen Zauber ausübt. Ich selbst verweise solche Anfragen immer in Richtung fachkundige Ernährungsberater, denn ich kann und will mir jenseits meiner moderaten Low-Carb-Variante keinen Stiefel in der Schuhgröße Keto anziehen. Dazu erbringe ich auch keine Beratungsleistungen, aber das muss ich häufig erst mal erklären. Wie schaffst du es, entsprechende Kandidaten zu erkennen und das dann in geeignete Bahnen zu lenken?

Marina: Viel Sport, Stress, wenig Körperfett und ketogene Ernährung sind keine guten Freunde (weil alles die Cortisol-Ausschüttung sehr fördert). Wenn man in so einer Situation keto macht, sollte man nicht zwischen 5-20 g Kohlenhydraten rumdümpeln, sondern dann eher zwischen 20-30 g pro Tag. Ketogene Ernährung ist keine Religion, kein Allheilmittel, sondern ein Mittel zum Zweck. Dem einen tut sie sehr gut, der eine ist damit sehr erfolgreich. Für andere sind moderate Low Carb Formen effektiver und gesünder.

Klar – ketogene Ernährung ist eine extreme Form der Ernährung die »sehr wenig Kohlenhydrate« enthält. Menschen mit einem Essproblem werden von so etwas angezogen. »Immer weniger, am besten so wenig wie irgendwie möglich« passt zu den (un-)bewussten Verhaltens- und Denkmustern.

Ich habe schon viel Erfahrung in diese Richtung gemacht. Mittlerweile habe ich einen guten Riecher dafür, wenn jemand nicht mehr nur „Lifestyle-Keto“ macht, sondern dort eine gewisse Sucht-Komponente mitschwingt. Anfangs habe ich versucht durch lange Mails, ausschweifende Erklärungen und kostenlose Unterstützung (Ernährungspläne, die ich für richtig hielt, die Person aber partout nicht in Betracht ziehen wollte) Hilfe zu leisten. Im extremsten Fall hatten wir über ein Jahr viele Stunden lang Kontakt. Zwischendurch scheint das Hinreden dann zu fruchten, doch das hält nicht immer lange an. In der Situation ist es dann richtig, auf entsprechende Beratungsstellen hinzuweisen, die auch ganz klar mit der psychischen Situation arbeiten. Im schlimmsten Falle wird man beschimpft, dass man sich traut, darauf hinzuweisen. Dann weiß man eigentlich, man hat den Nerv getroffen. Ob das was ändert, weiß man leider nicht. Ganz viele solcher Kandidaten fallen unter die Kategorie »Energie-Vampire« – besonders dann, wenn die Bereitschaft zur Einsicht noch nicht vorhanden ist.

Aber nicht alle Erfahrungen sind zehrend und eher negativ. Ich kenne auch viele Menschen, die davon berichten, FRÜHER ein solches Problem gehabt zu haben – und nun endlich gänzlich frei sind im Kopf.

Betti: Wenn ich das richtig verstanden habe, ist der Stoffwechselzustand Ketose der eines Fastenstoffwechsels, ohne jedoch unterkalorisch sein zu müssen. Klingt ja erst mal traumhaft. Trotzdem führt dieser Zustand zur Ausschüttung von verschiedenen Stresshormonen. Der Körper ist also schon immer etwas in Alarmzustand, wobei dies natürlich auch zu mehr Energie, weniger Schlafbedürfnis und höherem Leistungsvermögen führt. Trotzdem denke ich mir eben, nur weil der Körper etwas kann, ist es vielleicht nicht gut, dies auch dauerhaft auszureizen. Wir können alle ganz schnell rennen, aber wenn wir nur schnell rennen würden, wäre das auch irgendwann schlecht für uns. Es braucht Pausen und das richtige Maß. Wo also ist das richtige Maß bei der Ketogenen Ernährung, gerade wenn ich an Stresshormone und die Nebenniere denke, die ja die Arbeit der Hormonproduktion leisten muss. Wann ist eine Pause sinnvoll und wie sieht die aus? Das Zauberwort Refeed geistert immer wieder durch die Lande, mit sehr unterschiedlichen Ansichten.

Marina: Der Körper KANN eine Menge. Zum Beispiel 5 Jahre am Stück rohvegan-frutariermäßig zu essen. In die Richtung 50 Bananen am Tag. Nur weil der Körper etwas kann heißt das, wie du schon richtig sagst noch nicht, dass wir es auch unbedingt tun müssen.

Die ketogene Ernährung hat aber tatsächlich viele Vorteile, weswegen es sich lohnt, sie zu testen. Das sollte man mindestens 30 Tage am Stück machen, besser noch 3 Monate, um den vollen Effekt zu erleben.

Aber die ketogene Ernährung führt auch zur Ausschüttung von Cortisol. Wenn man der entspannteste Mensch auf Erden ist und das Leben sonst nicht viel Anlass für Stress bietet, ist das kein Problem. Wenn aber viele Stressfaktoren zusammenkommen (Job, Feierabendverkehr, Familien-Management, wenig Schlaf, viel Sport..) dann kann die ketogene Ernährung der Faktor sein, der einfach zu viel Cortisol in die Gleichung wirft. Wenn man eine ketogene Ernährung möglichst lange durchführen will, dann sollte man Acht geben auf die anderen Stressfaktoren. Man sollte ausreichend und gleichmäßig schlafen, es mit dem Sport nicht übertreiben (untertreiben bitte auch nicht) und insgesamt mehr Entspannung im Alltag schaffen. Wenn das nicht geht und man chronisch gerädert ist, wenn man nachts schlecht schlafen kann, wenn der Puls gefühlt immer auf 180 ist… dann sollte man eine Phase mit etwas mehr Kohlenhydraten einplanen. 50 g oder bis zu 100 g täglich für eine Weile. Besonders am Abend sollten diese Kohlenhydrate verzehrt werden.

Wenn man etwas Sinnvolles gegen die Nebenwirkungen von ketogener Ernährung tun will, bevor man überstresst ist und nicht mehr richtig schlafen kann, dann sollte man wöchentlich Refeeds einplanen. Nach den ersten 30 Tagen strenger keto zum Beispiel, einmal die Woche abends 100-150 g Kohlenhydrate verzehren. Das senkt den Cortisolspiegel, führt im Anschluss zu einem sehr tiefen, regenerativen Schlaf und pusht das Hormon Leptin. Leptin ist ein wichtiges Hormon für die Sättigung und hat Einfluss auf Schilddrüse und Stoffwechsel. Es wird durch Kohlenhydrate verstärkt ausgeschüttet.

Ein Refeed ist aus meiner Sicht aber kein »Friss-was-du-willst«-Schlemmertag. Es ist einfach ein Tag, an dem das übliche Gemüse und Fleisch von etwas gekochtem Reis, ein paar Süßkartoffeln oder Kartoffeln begleitet wird. Wer zu Junk Food greift und den Kopf im Eisbecher verliert, riskiert am nächsten Tag eine dicke Birne.

Betti: Mir ist in diversen Portalen mehrfach aufgefallen, dass viele Keto-Seiten umfangreich Vitaminpräparate anbieten. Ist das eher Geschäftemacherei oder siehst du das als notwendig an? Ich finde eine Ernährung, die eine Tabletteneinnahme zur Nährstoffunterstützung braucht, zumindest wenn es keine medizinische Indikation gibt, immer mit Vorsicht zu genießen. Wann sollten zusätzlich Vitamine und Co supplementiert werden und wann ist es nicht notwendig?

Marina: Ein richtiger Keto-Teller sollte dick mit Gemüse gefüllt sein. Für 10 g Kohlenhydrate kann ich über 1 kg Spinat oder Champignons essen. Wenn man es richtig anstellt und einen Blick für den Kohlenhydratgehalt der verschiedenen Gemüsesorten hat, kann man sich äußerst mikronährstoffreich ernähren. Multivitaminpräparate braucht kein Mensch. Das kann dann vielleicht helfen, wenn ich meine ketogene Ernährung aus Mortadella-Schmelzkäse-Röllchen zusammenstelle. Sollte man aber nicht.

Bei einzelnen Vitaminen macht eine Supplementierung durchaus Sinn. Vitamin D zum Beispiel – oder K. Während die Vitamin D-Spiegel bei den meisten Deutschen zu niedrig sind und fast generell schon 1.000 IE täglich empfohlen werden, hilft bei jedem anderen Vitamin ein Blick ins Blut. Ideal ist es immer, wenn man vom Arzt umfangreich die Mikronährstoffversorgung checken lässt und dann klug und gezielt supplementiert. Einzelne Vitamine auffüllen, statt mit dem Multipräparat nichts wirklich richtig zu machen.

Betti: Überhaupt habe ich mich in meinen letzten 4 Keto-Wochen gefragt, ob Keto wirklich für jede Person eine Option ist, oder ob es Einschränkungen gibt, bei der man generell sagt Nein, du nicht. Oder gibt es auch Menschen, die sich wirklich nur unter fachlicher Begleitung auf das Abenteuer Keto einlassen sollten? Bei mir lesen ja auch viele Diabetiker mit? Wie sieht es da aus?

Marina: Jeder Mensch mit einer Vorerkrankung muss die gewünschte Ernährungsumstellung mit seinem Arzt umstellen. Das ist immer die beste Variante. Leider stößt man da oft auf Missverständnis, weil sogar viele Fachleute den Unterschied zwischen Ketose und Ketoazidose im Studium nicht gelernt haben. Darum versuche ich gerade zusammen mit meinen Kunden eine Ärzte-Liste zu erstellen mit Fachleuten, die offen sind für diese Thematik.

Ganz wichtig: Insulinpflichtige Diabetiker sollten ketogene Ernährung nicht ohne ärztliche Kontrolle testen. Denn genau aus dem Bereich des Diabetes kennt man die Ketoazidose. Von einer Ketoazidose spricht man, wenn die Konzentration der Ketonkörper gefährlich hoch ansteigt. Und zwar höher, als es bei einem gesunden Menschen je möglich wäre.

Der Gegenspieler der Ketonkörper ist Insulin. Insulin führt dazu, dass Ketonkörper über den Urin ausgeschieden werden. Darum können uns Gummibärchen aus der Ketose werfen. Der Clou: Ketonkörper an sich führen zu einer leichten Erhöhung des Insulinspiegels. Wenn also der Ketonkörperspiegel steigt, steigt auch der Insulinspiegel. Der wiederum führt dazu, dass einige der Ketonkörper über den Urin ausgeschieden werden. So hält sich der Ketonkörperspiegel immer selbst in gesunden Schranken.

Wenn aber nun kein Insulin mehr produziert wird, gibt es diese natürliche Schranke nicht mehr. Die Ketonkörperspiegel können immer weiter und weiter ansteigen, das Blut „übersäuert“. Auch ein insulinpflichtiger Diabetiker kann sich ketogen ernähren. Gemeinsam mit dem Arzt muss dann aber ganz besonders auf die Insulingabe acht gegeben werden.

Betti: Als Foodbloggerin und temporäre Keto-Esserin habe ich natürlich ein besonderes Augenmerk auf das, was da auf den Tellern bei anderen Ketariern liegt. Leider gefällt mir das nicht immer uneingeschränkt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Keto gelegentlich eine sehr gemüsearme Ernährung ist und ich hadere, wenn irgendwie immer Bacon und Käse, und zur Gewissensberuhigung noch eine Avocado auf dem Speiseplan steht. Da gibt es den einen oder anderen englischsprachigen Blog, wo mir das immer total auffällt. Wie sieht eine gut gemachte Keto-Küche auf dem Teller in der Praxis aus? Worauf achtest du, wenn du Keto-Rezepte bastelst?

Marina: Das Gemüse macht das Volumen. Nicht der Käse. Je grüner der Teller, desto besser. Ideal sollte jedes Keto-Gericht zwei Gemüsesorten beinhalten und der Teller sollte zur Hälfte mit frischem Gemüse gefüllt sein. Wenn man es gesund angehen will, ist keto keine „Wer kann mehr Käse und Bacon in eine Mahlzeit packen“-Ernährung. Das ist kein Wettbewerb. Klar haben knuspriger Bacon und geschmolzener Käse einen Platz in einer ketogenen Ernährung. Sie sind aber nicht die Hauptdarsteller – bzw. sollten es nicht sein.

Betti: Die Hinweise finde ich total klasse und wichtig. Jeder, der auf das Abenteuer Keto einlassen will und sich dabei auf die geballte Kompetenz von Marina verlassen will, kann das mit Hilfe ihrer Ernährungspläne tun. Nichts selbst rechnen und immer wissen, dass Makros und Nährstoffe passend sind. Für dich individualisierte Ernährungspläne bekommst du über Marinas Foodpunk-Seite.

Foodpunk von Marina Lommel

Betti: Fast wie bei der gewöhnlichen Low-Carb-Ernährung, spuken auch zur Ketogenen Ernährung Keto-Besserwisser in allen möglichen Foren herum. Da entzünden sich dann Streitigkeiten an einigen gehackten Erdnüssen, die doch so böse Hülsenfrüchte sind. Aber auch das Gluten, chemische Süßstoffe oder eben das Eiweißpulver, sei es aus Soja oder was auch immer, spalten die Keto-Jünger. Da will ich von Apfel, Kiwi und Karotte gar nicht erst anfangen. Alle diese »umstrittenen« Keto-Zutaten habe ich übrigens aus einem Kochbuch zur Unterstützung einer ketogenen Ernährung für Krebspatienen, was in Zusammenarbeit mit Frau Prof. Kämmerer und dem systemed Verlag entstanden ist. Ich denke es ist unstrittig, dass wir es da durchaus mit Personen zu tun haben, die eine Ahnung haben, was Keto ist und was nicht. Trotzdem werden nicht wenige Keto-Anhänger nicht müde zu behaupten, dass all das nicht Keto sei. In so manchem Ketose-Kopf hat sich nämlich festgesetzt, dass Keto und striktes LCHF eine Einheit bilden. Klar, striktes LCHF ist 100 % Keto, aber Keto für sich unterliegt eben nicht den Einschränkungen der LCHF-Ernährung. Vielleicht können wir das hier mal generell klarstellen, denn da wird wie so oft viel Unsinn in der Welt verbreitet, obwohl, wenn man differenziert hinschaut, die Fakten etwas anders sind. Wir sind zwar im Jahr der alternativen Fakten, aber ich hoffe, wir kommen Keto ohne diese aus. Ich selbst würde einen Teil der im Kochbuch verwendeten Zutaten auch nicht nutzen, aber das ist ja meine persönliche Entscheidung und hat nichts damit zu tun, dass diese Keto verboten wären. Also bitte liebe Marina, erhelle uns mit deinen Worten.

Marina: Mittlerweile werden viele Ernährungslinien in einen Topf geworfen. Keto hat viele Überschneidungen mit LCHF, das hat viel Überschneidungen mit Paleo. Hülsenfrüchte wie Erdnüsse oder Sojabohnen werden in der Paleo-Ernährung gemieden. Das hat sich auf LCHF übertragen. Mit Keto hat das erst einmal nichts zu tun. Ich persönlich bin schon ein Fan davon, ketogene Ernährung an den Prinzipien einer natürlichen LCHF / Paleo-Ernährung zu orientieren. Ich persönlich empfehle keine Hülsenfrüchte und Milchprodukte nur in Maßen. Keto per se schließt sie aber nicht aus. Wie ich vorhin gesagt habe, wird eine ketogene Ernährung nur dadurch definiert, dass Ketonkörper gebildet werden. Denen sind die Hülsenfrüchte schnurzpiepegal, solange nicht zu viele Kohlenhydrate aufgenommen werden.

Auch die Karotte ist kein No Go – die Dosis machts. Zu viele Kohlenhydrate werfen aus der Ketose, das ist der Punkt. Karotte, Kiwi und Apfel geht – nur nicht so viel. Wer Spaß hat an einem Spalt Apfel zu kauen, der kann das tun. Wenn man den Apfel pur , wirft er mit höherer Wahrscheinlichkeit aus der Ketose, als wenn man ihn klug mit Protein und Fett kombiniert. Auch dann ist ein Apfel für die meisten Ketarier schon zu viel, um in Ketose zu bleiben. Aber ein Stück geht – die Dosis macht es eben.

Der Einfachheit werden diese Lebensmittel aber oft ausgeschlossen. Dann muss niemand der zweiten Apfelhälfte hinterher weinen, die dann eben nicht mehr im Rahmen ist.

In alten Ernährungsplänen für Epilepsie-Kinder ist das teilweise ganz krass – da hat keiner darauf geachtet, ob die Ernährung auch wirklich sinnvoll und gesund ist. Es ging rein um die Zahlen. Auch Toast kommt darin vor. Halt nur 10 g. Die Kinder haben allen Ernstes eine Mini-Toastscheibe mit hauchdünn Erdnussbutter und 20 g Banane bekommen. Dazu dann MAGERmilch mit Rapsöl. Von den Werten her war das eine Keto-Mahlzeit mit wenig Kohlenhydraten und viel Fett. In der Theorie möglich. In der Praxis würde ich persönlich lieber einen großen Salat mit viel Avocado, üppigem Dressing und Steakstreifen essen.

Betti: Verrückte Ernährungswelt, aber bei einem großen Salat mit Avocado, Dressing und Steak bin ich auf jeden Fall gerne dabei. Lass uns auch noch einen Blick auf die Gute-Laune Sputniks werfen. Um gut gelaunt und happy zu sein braucht es Serotonin in der Birne. Um das basteln zu können, brauchen wir Tryptophan. Jetzt braucht aber ausgerechnet dieser wichtige Stoff, der eine Aminosäure aus dem wichtigen Eiweiß ist, eine Portion Insulin um die Blut-Hirnschranke überwinden zu können. Klappt das auch bei einem ketogen niedrigen Insulinspiegel bzw. ist das Gehirn im Ketosestoffwechsel anders offen für das Tryptophan? Interessanterweise sind mir nämlich bei meinen Keto-Kontakten mehrfach Menschen begegnet, die „Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer“ einnehmen und ich habe mich dann einfach gefragt, ob es sinnvoll ist, wenn der Serotoninhaushalt nicht im Lot ist, da dann auf Keto zu setzen? Oder kommt das Problem sogar von der Ernährung? Wirklich fündig geworden bin ich auch nicht bei den mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Siehst du einen Zusammenhang oder ist das Zufall?

Marina: Auch bei ketogener Ernährung wird der Insulinspiegel in geringem Maße angehoben. Dazu führt zum einen das aufgenommene Eiweiß an sich, dann auch ein Bauteil der Fettmoleküle (Triglyceride bestehen aus 3 Fettsäuren und einem Molekül Glycerin, das im Gegensatz zu den Fettsäuren antiketogen wirkt). Bei gesundem Menschen reicht das für eine normale Tryptophanaufnahme und Serotoninproduktion. Ist der Serotonin-Stoffwechsel nicht in Takt gilt dasselbe wie bei anderen Vorerkrankungen: Mit einem Fachmann arbeiten.

Ketogene Ernährung wirkt bei vielen stimmungsaufhellend. Viele Menschen, die vormals an depressiven Verstimmungen gelitten hatten, haben Besserung erlebt. Die Ursachen für depressive Verstimmungen sind aber vielfältig und nicht für jeden wirkt ketogene Ernährung positiv. Sie kann auch durch geringere Tryptophan-Aufnahme und Serotonin-Bildung einen gegenteiligen Effekt haben.

Betti: Das ist auf jeden Fall gut zu wissen. Als Laie kann man manchmal Informationen nicht richtig einordnen und ich finde es spannend zu lesen, dass Keto sich dahingehend auch positiv, also stimmungsaufhellend, auswirken kann.

Betti: Du bekommst bestimmt ganz viel Rückmeldung von Kunden, die sich auf das Abenteuer Keto einlassen. Da gibt es sicher begeisterte Rückmeldungen, aber eben sicher auch die eine oder andere knirschende Frage, gerade zu Beginn. Gibt es gute Tipps, wie man die verkackte erste Woche besser übersteht? Vielleicht noch ein weiterer Tipp zu meiner persönlichen Hürde mit dem Fett. Ich esse gerne Fett, aber die Keto-Fettmenge bringt mich ans Limit dessen, was mir schmeckt und auch dessen was ich vertrage, ohne dass mir schlecht wird. So über 150 g Fett am Tag und dann ohne Gallenblase geht nur, wenn ich einen guten Teil Kokosöl (mittelkettige Fettsäuren brauchen keine Galle zur Verdauung) einbaue oder Macadamias knabbere, die ich ebenfalls ganz gut vertrage. Was kann ich da konkret noch besser machen? Gerade auch, weil ich von dem vielen Fett die ersten 2 Wochen unter blöden Durchfällen leide. Da bin ich dann doch immer etwas unschlüssig, ob mein Keto-Projekt wirklich eine gute Idee ist. Ab Woche 3 ist das dann auch wieder weg, aber wenn es ohne gehen würde, wäre super und ich hätte schon früher den richtigen Keto-Fun und nicht den Keto-Flotten.

Marina: Der wichtigste Tipp für die erste Woche ist Salz. Das vergessen ganz viele. Bei ketogener Ernährung wird mehr Salz ausgeschieden. Dadurch sinkt der Blutdruck, man bekommt Kopfschmerzen, Schwindel bis hin zu Übelkeit. Ich empfehle Salzwasser (leicht gesalzen) direkt vor dem Aufstehen (entlastet auch die Nebennierenrinde) und gut gesalzene Speisen.

Wieviel Fett man essen kann / mag ist Typsache. Ich könnte mich am Fettrand von gutem Weiderind sattessen, anderen ekelt es davor. Gute Quellen sind Macadamias, Avocados (Hass haben sehr wenig Kohlenhydrate), Kokos in allen Formen und Aggregatszuständen…

Ohne Gallenblase ist Keto eine ganz besondere Herausforderung. Ganz klar sind die MCTs hier sehr wichtig. MCT-Öl erhöht den Ketonkörperspiegel leichter als andere Fettsäuren, darum braucht man bei mehr MCT-Öl in der Nahrung insgesamt weniger Fett, um in Ketose zu kommen. Man kann dann anteilsmäßig mehr Kohlenhydrate (Gemüse) oder Protein verzehren. Anfangs sollte man aber nicht mehr als 1 EL MCT-Öl pro Mahlzeit verwenden, sonst gibt es schnell Bauchschmerzen oder Durchfall.

Gegen Durchfall hilft möglichst viel Fett in fester Form zu essen – wie du es mit den Macadamias schon machst. Avocado und Oliven funktionieren ähnlich gut. Gegebenenfalls kann man mit etwas Flohsamenschalen entgegenwirken – und natürlich ganz klar ausreichend Ballaststoffe in Form von Gemüse.

Auch Beatin-HCl, ein Nahrungsergänzungsmittel, das man nach Beratung durch einen Apotheker beziehen kann, kann die Fettverdauung fördern.

Die Verdauung braucht immer eine Weile, bis sie sich an die neue Zusammensetzung gewohnt hat, die da von oben reinkommt. Wenn es aber gar nicht besser wird und eher belastend wirkt, ist Keto nicht immer der einzige und beste Weg.

Betti: Immer wenn ich Fachleute zu Gast habe, stelle ich die Fragen aller Fragen. Also liebe Marina. Keto oder nicht Keto, das ist die Frage. Butter bei die Fische. Wie gestaltest du deine persönliche Ernährung und warum hast du dich für den Weg entschieden.

Marina: Ich hab über 1 Jahr durchgehend komplett ketogen gelebt. Mittlerweile ist mein Stoffwechsel so trainiert, dass ich auch nach einem Refeed-Abend (mit 150 g Kohlenhydraten in Form von Reis beispielsweise) nach einem Butterkaffee wieder in Ketose bin. Auch, wenn ich konstant 50 g Kohlenhydrate täglich esse, bin ich in Ketose. Ich setze Ketose gezielt ein, wenn ich besondere geistige Leistungsfähigkeit brauche. Dann gehe ich zum Training auch wieder auf 30 g herunter. Ich liege nie unter 30 g und empfehle das auch sehr selten. 30 g Kohlenhydrate sind ein guter Deal aus Ketose und ausreichend Gemüsezufuhr. Je besser man die Mahlzeiten abstimmt und je gleichmäßiger man die Makronährstoffe über die Mahlzeiten hinweg verteilt, desto mehr Kohlenhydrat-Toleranz hat man. Solche Keto-Phasen kommen bei mir über 2 oder 4 Wochen hinweg vor. Ansonsten ernähre ich mich Low Carb im Paleo-Stil. Ich scheue mich nicht vor Karotten, roter Paprika oder auch mal einer Süßkartoffel. Im Vergleich zu einem Otto-Normal-Esser, esse ich sehr wenig Kohlenhydrate – ich müsste mich schon anstrengen um über 100 g pro Tag zu kommen. Da ich ketogene Ernährung so gewohnt bin, esse ich auch oft unbewusst phasenweise ketogen. Weil das Rührei, der große Salat mit Avocado oder das Gemüse mit Steak einfach meinen Geschmack treffen.

Betti: Und bitte, kannst du meinem Mann bestätigen, dass ich durch Keto nicht doofer werde? Egal warum ich angeblich schusseliger und begriffstutziger war als sonst, es hatte doch hoffentlich nichts mit dem Fehlen der Kohlenhydrate zu tun?

Marina: In der Anfangszeit kann das schon sein :-). Nein nein, eigentlich ist unser Gehirn auch in der Übergangsphase durch die Gluconeogenese gut versorgt und nach der Umstellung durch die Ketonkörper. Vielleicht bist du ja in Ketose so energiegeladen, dass du hundert Sachen gleichzeitig machen möchtest und dein Mann deshalb den Eindruck bekommt, du bist hektischer als sonst. 🙂

Betti: Danke Marina. Das beruhigt mich. Ich denke ja, ich war einfach geistig so fix unterwegs, dass mir mein Mann nicht folgen konnte. Wenn die Gedanken schnell abgearbeitet werden und von Thema zu Thema gesprungen wird, kann ein Mann schon mal den Anschluss verlieren. Da braucht es häufig ja nicht mal Ketose dazu, aber scheinbar wird der Zustand dadurch verschärft.

Betti: Soooo, wir sind fast am Ende, aber eine Frage geht noch rein. Wir haben eh jedes Limit überschritten und jetzt kommt es auf eine Information mehr auch nicht mehr an. Auch bei Ketogener Ernährung wird gerne mal etwas Süßes schnabuliert. Die Möglichkeiten der (fast) kalorienfreien Süßmittel sind riesig, ob das nun Erythrit oder Stevia ist, oder wer kein Problem damit hat auf die Chemiekiste zuzugreifen, kann sich dort zumindest keto-unbeeindruckt  laben. Am Xylit jedoch scheiden sich die Geister. Der zahngesunde, sehr beliebte Zuckeralkohol enthält immerhin 2,4 Kalorien pro Gramm und die flutschen scheinbar nicht unverarbeitet durch, sondern werden vom Körper bemerkt und auch verstoffwechselt. Sind die 2,4 Kalorien pro Gramm eigentlich Kohlenhydrate, oder was liefert da den geheimnisvollen Brennstoff? In einem englischsprachigen Beitrag habe ich gelesen, dass Xylit in der Leber zu Glucose abgebaut wird und so den Blutzuckerspiegel zwar langsam und verzögert erhöht, aber dennoch eine Blutzuckerwirkung liefert, die auch eine spürbare Insulinreaktion erzeugt. Häufig sagt man Xylit ja nach, dass es insulinunabhängig verstoffwechselt wird, aber dem ist scheinbar nicht so? Dazu stand in dem Beitrag auch drin, dass Xylit die Konzentration der Ketone im Blut verringert und dazu die Ausschüttung von Glucagon hemmt. Eigentlich doch alles Sachen, die nicht wirklich keto-gewünscht sind. Oder ist das jetzt Jammern auf hohem Niveau und Xylit ist doch keto-unschädlich? Aber du weißt ja, wie schnell hier mal ein Stück Kuchen und da mal etwas Xylit-Schokolade im Mund verschwunden ist und ratzfatz hat man mehr Xylit in Bauch als gedacht. Was ist deine Praxis-Empfehlung in Sachen Xylit und Ketogener Ernährung?

Marina: Es gibt ja zwei Zuckeralternativen, die in der Low Carb Ernährung besonders gerne verwendet werden. Die Zuckeralkohole Xylit (nein, nicht Xylith – les ich ganz oft) und Erythrit. Zuckeralkohol ist ein Überbegriff für eine bestimmte chemische Struktur (ein Kohlenhydrat-Monomer mit einer Alkohol-Gruppe) und hat nicht direkt mit Zucker (den man im Supermarkt kaufen kann) und auch nichts mit Alkohol (im Sinne von Schnaps) zutun. Was wir auf jeden Fall wissen: Erythrit hat 0 Kalorien, 0 Auswirkung auf den Blutzuckerspiegel und ruft keine Insulinreaktion hervor. Klingt super – warum interessieren wir uns noch für Xylit? Weil es angenehmer schmeckt. Es schmeckt nicht ganz so kühl wie Erythrit und kann 1:1 für Zucker ersetzt werden. Denn Xylit hat 100% der Süßkraft von Haushaltszucker, Erythrit nur 70%. Manchmal schmeckt Erythrit auch leicht kühl-scharf. Xylit soll sich auch positiv auf die Zahn- und Knochenmineralisierung auswirken, was bei Erythrit so nicht berichtet wird.

Für eine Low Carb Ernährung würde (ich persönlich) darum immer zu Xylit greifen. Schmeckt besser.

Bei einer ketogenen Ernährung wird die Sache kompliziert. Denn ja, Xylit hat 240 kcal / 100 g und die verpuffen nicht einfach so. Wenn man sich den glykämischen Index ansieht, hat Xylit 7-11 (je nach Quelle und Referenzlebensmittel), Erythrit hat 0. Zucker (Glucose) hat 100. Also passiert da doch etwas mit dem Blutzuckerspiegel und folglich mit dem Insulinspiegel. Nur seeeehr langsam.

Erythrit wird komplett aufgenommen und unverarbeitet über den Urin ausgeschieden. Xylit wird nur teilweise aufgenommen, ein Teil wandert durch den Darm, der andere Teil gelangt ins Blut und wird seeeehr langsam verstoffwechselt. Auf diese Weise kommt der GI zustande. Wieviel aufgenommen wird und wieviel einfach im Darm bleibt, das ist individuell unterschiedlich. Man kann also leider nicht sagen „Xylit muss man mit x g Kohlenhydraten anrechnen“. Schön wär’s. Bei jedem Menschen müsste man Xylit mit einer anderen Kohlenhydratmenge veranschlagen, damit das richtig ist. Genauso unterschiedlich ist die Wirkung auf den Blutzuckerspiegel und die Insulinausschüttung – und auf die Ketose. Mich wirft Insulin nicht aus der Ketose. Andere sind da empfindlicher.

Darum sollte man sich an folgendem Fahrplan orientieren:

  • Ketogene Ernährung aus medizinischen Gründen >>> Auf jeden Fall zu Erythrit greifen.
  • Ketogene Ernährung in den ersten 30 Tagen >>> Mit Erythrit ist man auf der sicheren Seite.
  • Ketogene Ernährung nach 30 Tagen mit etwas mehr Mut zu experimenten >>> Xylit in verschiedenen Mengen verzehren und Ketose testen.
  • „Ich wäre gern in Ketose, muss aber nicht durchgängig drin sein“ >>> Mutig auch mal zu Xylit greifen.
  • Einfach Low Carb ohne Augenmerk auf Ketose >>> Xylit

Ach – und wie entstehen eigentlich die Kalorien? Dafür wird gemessen, wieviele Kalorien man in einen Menschen reingibt und wieviele unten wieder rauskommen. Rein chemisch gesehen besteht Xylit zu 100% aus Kohlenhydraten. Rein theoretisch hat es also einen Brennwert von 400 kcal. Jetzt gibt man 400 kcal in einen Menschen hinein – unten heraus kommen wieder 160 kcal. Weil der Mensch kein Brennofen ist. Der physiologische Brennwert liegt also bei 240 kcal. Kalorien, die im Körper bleiben und nicht wieder in Urin oder Faeces auftauchen. Was passiert mit diesen Kalorien im Körper? Ein Teil wird gewonnen, indem Xylit sehr langsam als Kohlenhydrat verstoffwechset wird. Aber nicht alles. Ein Teil des Xylits bahnt sich ja den Weg durch den Darm. Unterwegs trifft es Darmbakterien, die auch sehr gerne Xylit mampfen. Dabei entstehen zum Beispiel bestimmte Fettsäuren, die auch wieder Kalorien liefern. Es klingt komisch, aber ein Teil der Kalorien, die Xylit hat stammt aus Kohlenhydraten. Ein Teil aus Fett! Die Fettsäuren werden durch Darmbakterien hergestellt und dann zum Beispiel von unseren Darmzellen verbrannt. Darum weiß man nie so genau, wieviele der 240 kcal jetzt über welchen Weg entstanden sind und wieviel Kohlenhydrate Xylit am Ende für Xylit anzurechnen sind.

Betti: Heidenei, mit dem Xylit ist das ja komplizierter als gedacht. Selbst spare ich mir lieber die Kalorien und greife zu Erythrit, auch weil ich also fruktoseintoleraner Mensch Xylit schlechter vertrage und sehr auf die Menge achten muss.

Soooo jetzt ist aber gut. Wir kommen hier ja vom Keto-Hölzchen aufs Keto-Stöckchen, aber so eine Gelegentheit kann ich mir natürlich nicht durch die Lappen gehen lassen. Ich danke der lieben Marina vielmals für die engelhafte Geduld, meine umfangreichen Fragen zu beantworten. Natürlich kann ich Marina nicht gehen lassen, ohne auf ihr neues Buch zu sprechen zu kommen. Ganz frisch veröffentlicht ist „Low Carb typgerecht: Die individuelle 30-Tage-Fatburn-Challenge“ im Buchhandel erhältlich. Ich habe das Buch auch schon hier liegen und konnte mich davon überzeugen, dass Marina da ganz viel Know-how hat reinfließen lassen. Gewähre uns bitte einen kleinen Einblick in dein Buch. Auf was dürfen sich die Leser/innen freuen?

Marina: Im Buch geht es um die Wirkung der Nährstoffe auf unseren Körper – was macht das Kohlenhydrat-, das Fett- und das Proteinmolekül in unserem Stoffwechsel? Wie sind Hormone daran beteiligt, dass wir hungrig oder satt werden – und wie können wir sie steuern? Mir ist wichtig, auf unterhaltsame Weise einen Einblick in den Stoffwechsel zu geben – für Menschen, die mit Ernährungswissenschaft noch nicht so viel am Hut haben. Appetit machen auf das „Verstehen“. Nach dem Wissensteil gibt es einen Test, den ich entwickelt habe, damit der Leser selbst feststellen kann, ob er der Typ für ketogene Ernährung oder gemäßigtes Low Carb ist – oder ob er vielleicht sogar seine 100 g Kohlenhydrate am Tag braucht, weil er beispielsweise sehr sportlich ist. Der Test führt zu einem individuellen Fahrplan: Darin sieht der Leser, mit welcher Kohlenhydratmenge er einsteigen soll und ob es Sinn macht, diese nach 30 Tagen zu variieren – wenn ja, in welche Richtung. Danach folgen Rezepte – für jede Phase eine volle Woche mit Ideen für morgens, mittags und abends. Außerdem kleine süße Ideen für das Wochenende. 70 Rezepte – alle von den Makronährstoffen her so optimiert, dass sie die hungermachenden und sättigenden Hormone ideal ansprechen. Ein Baukastensystem und Nährwertangaben zu »Idealmahlzeiten« ermöglichen es auch abseits der Rezepte, eigenständig kreativ Passendes selbst zu kreieren.

Low Carb typgerecht: Die individuelle 30-Tage-Fatburn-Challenge
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Betti: Ich darf sagen, dass das Buch wirklich richtig schön gemacht ist. Wunderbar bunt, mit tollen appetitlichen Fotos und allem was dazugehört. Ein echtes Foodpunk-Buch eben. Die inhaltliche Qualität, die Marina hier bei der Beantwortung der Fragen gezeigt hat, findet sich natürlich auch in ihrem Buch wieder. Sie ist eine echte Low-Carb-Fachfrau. Da ziehe ich neidlos den Hut und applaudiere. Wenn du noch auf der Suche nach Lesestoff für Ostern bist, kann ich das Buch auf jeden Fall empfehlen.

Uuuuurgs. Der Beitrag war jetzt ganz schön lang. Ufff, aber so ist das, wenn 2 Plaudertaschen, die für ein Thema brennen, sich austauschen. Ich hoffe, es war trotzdem nicht langweilig für dich, sondern kurzweilig und interessant. Gut Ding braucht eben viel Information, um die für sich die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wenn ich gerade eines gelernt habe, dann dass die Ketogene Ernährung eine spannende Ernährungsweise mit vielen Vorteilen ist, es aber ganz besonders hier gute Information und eigenverantwortliches Handeln braucht. Da kann eben auch einiges in die Hose gehen, was am Ende der Gesundheit nicht nur zuträglich ist. Und in Sachen Information sind wir heute auf jeden Fall schon mal einen großen Schritt weiter. Ich hoffe, du siehst das ähnlich.

Wer weitergehende professionelle Ernährungsberatung zum Thema Ketogene Ernährung braucht, ist bei Foodpunk bestens aufgehoben.

Danke Marina!

Liebe Grüße Betti